Lebensende

Die Kessler-Zwillinge – gemeinsam in den Tod

Jeder Augenblick im Leben ist ein Schritt zum Tode hin.
(Pierre Corneille, franz. Autor, 1606 -.1684)

Ich komme nicht umhin zu zugeben, dass mich der gewählte Freitod von Alice und Ellen Kessler ziemlich beschäftigt. Sie waren Teil meiner Kindheit – immer im TV präsent. Selbst meine italienische Verwandschaft schwärmte von der Bellezza der deutschen Mädels, die beide eine zeitlang in Rom lebten. Nun ist der Vorhang gefallen – nein, sie haben ihn im Alter von 89 Jahren selbst zugezogen. Mit Unterstützumg der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) sind sie am 17.11.2025 in den assistierten Freitod gegangen. Nur ein Datum in einem Kalender- für die Kesslers ein Tag, den sie bewusst zum Sterben wählten.

Im Netz überschlagen sich die Kommentare zum Tod der beiden Frauen. Von tiefem Verständnis bis zur totalen Ablehnung sind alle Meinungen vertreten. Warum trifft der Suizid-Pakt der Kesslers, die ihr ganzes Leben zusammen verbracht haben, mich so sehr? Hat das vielleicht mehr mit mir zu tun als mit den Frauen selbst?

Der Tod so fern und doch so nah

Vielleicht berührt mich dieser gemeinsame Abschied deshalb so stark, weil er mir etwas zeigt, was ich im Alltag weit von mir schiebe: Ausnahmslos jeder – auch ich – wird irgendwann einmal an der Schwelle vom Leben zum Tod stehen – ob er will oder nicht!
Der Freitod der Kesslers ist nicht nur das Ende zweier außergewöhnlichen Biografien. Er ist ein Spiegel für tief menschliche Fragen und Ängste und dem Wunsch nach einem Tod ohne Leiden.

Der Tod ist in unserer Gesellschaft längst kein natürlicher Begleiter mehr – er wird verdrängt und ausgelagert. Er wird medizinisch gelöst – irgendwo hinter verschlossenen Türen – im Krankenhaus, im Seniorenheim oder im Hospitz. Mit der Verbannung des Todes aus unserem Leben haben wir auch die Fähigkeit verloren, ihn einzuordnen – als natürlichen Rhythmus, als etwas, das zu uns dazugehört und dem wir uns stellen können.

Die Entscheidung der beiden Frauen zwingt mich – zumindest für einen Moment – mich mit Fragen zu beschäftigen, denen ich sonst gerne ausweiche:

  • Wie möchte ich einmal sterben?
  • Möchte ich bis zuletzt alles medizinisch Mögliche?
  • Oder wünsche ich mir einen bewussten, vielleicht sogar geplanten Abschied?
  • Was bedeutet für mich Würde im Alter?
  • Was bedeutet Selbstbestimmung, wenn der Körper langsam seine Dienste einstellt?
  • Und vor allem: Habe ich den Mut, mit meinen Liebsten darüber zu sprechen?

Die Zwillinge hatten diesen Mut.
Sie haben ihren Tod als letzten Akt der Selbstbestimmung gesehen – nicht aus Verzweiflung, sondern aus aus einer reifen, lange getragenen Einsicht: Ihr gemeinsames Leben sollte in einem gemeinsamen Moment enden. Ob man das bewundert oder ablehnt, ist zweitrangig.
Mich berührt es. Weil es mich daran erinnert, dass der Tod kein Ereignis ist, das irgendwann über mich hereinbricht, sondern unabdingbar zu meinem Leben gehört.
Die Kessler-Zwillinge haben die Kontrolle über ihren Tod übernommen. Die einen sagen, das war mutig – die anderen sagen, das war feige. Aber warum etwas beurteilen, was sich jeder Beurteilung entzieht?!

Vielleicht ist das der eigentliche Kern dieser Geschichte:
Nicht das Wie ihres Todes, sondern das Warum ihrer Entscheidung.
Und was diese Entscheidung in mir auslöst. Denn jeder Kommentar im Internet, jeder Schock, jedes Kopfschütteln oder jedes Nicken sagt nicht nur etwas über Alice und Ellen Kessler aus – sondern vor allem über die Menschen, die reagieren.

Über uns.
Über unsere Angst vor dem Loslassen.
Über unsere Sehnsucht nach Kontrolle.
Über unseren Wunsch, nicht allein zu sein.
Über die Frage, wie ein „guter“ Tod aussieht – und ob es ihn überhaupt gibt.

Und du?

Wie blickst du auf diesen selbstbestimmten letzten Schritt der Zwillinge?
Ich freu mich, wenn du deine Perspektive dazu hier lässt.

Beitragsfoto: KI-generiert




2 Comments

  • Anne

    Ich muss gestehen, dass mir die beiden gar kein Begriff waren, ehe sie nun dieser Tage in den Nachrichten auftauchten. Ihre Entscheidung finde ich vollkommen nachvollziehbar. Ich weiß nicht, wie es ist, einen Zwilling zu haben, aber wenn man von jeher so eng miteinander verbunden war, wieso soll man dann am Ende eines erfüllten Lebens darauf warten, die letzten paar Jahre alleine und voller Trauer und Vermissen zu verbringen?

    Liebe Grüße
    Anne

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      Marina

      Liebe Anne,
      danke für deinen Kommentar über den ich mich freue!

      Ja, die Kessler-Zwillinge sind eher in meiner Generation zu Bekanntheit gekommen. Sie waren ja auch schon hochbetagt und nicht mehr voll aktiv im Rampenlicht.
      Ich bin da ganz deiner Meinung, auch ich finde die Entscheidung der Zwillinge voll und ganz nachvollziehbar.
      Ein mutiger Schritt, so einen Schlusspunkt zu setzen. Sie ersparten sich mit dieser Entscheidung, dass eine von beiden – nach einem intensiv gemeinsam gelebten Leben – zurückbleiben musste. Ihr Leben hat sich im gemeinsamen Freitod vollendet.

      Lieber Gruß von Marina

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